URBNANCE

Urbane Mensch-Natur Resonanz für eine Nachhaltigkeitstransformation

URBNANCE Blog

Von Krise zu Resonanz: ein Sommerkino

 

Einleitung

Filme erzählen Geschichten, sie können berühren und bewegen. Im Sommerkino bot sich die Möglichkeit Natur zu erfahren, sich um sie zu sorgen, aber sich auch von ihrer Schönheit berühren zu lassen. Um Natur in ihren unterschiedlichen Facetten zu erblicken und sich mit ihr in Zeiten der sozial-ökologischen Krisen zu verbinden, lud das URBNANCE-Team interessierte Dresdner*innen zwischen Juli und September 2022 zu einer dreiteiligen Open Air-Filmreihe ein. Das Sommerkino wurde in Kooperation mit den UFER-Projekten Dresden e.V. in der Alten Gärtnerei in Dresden-Pieschen präsentiert.
Wir setzen das Medium Film ein, um mit Menschen an einem wunderschönen Ort über unsere Forschungsthemen rund um Mensch-Natur-Resonanz als Hebel für einen tiefen Wandel Richtung Nachhaltigkeit ins Gespräch zu kommen. Dabei erkundeten wir mit der Filmauswahl, wie uns die Zerstörung und Ausbeutung der Natur auf unterschiedliche Weise berührt und zeigten darüber hinaus Alternativen auf, wie wir eine Beziehung im Sinne von Mensch-Natur-Partnerschaften führen können. Eine Beziehung, in der die Natur nicht als lebloses Objekt, sondern als lebendiges Wesen betrachtet wird, dessen Gesundheit eng mit unserem eigenen Wohlergehen verwoben ist. Um diese responsiven Momente zu fördern, luden wir die Besucher*innen ein, ihre Gedanken und Gefühle im Anschluss an die Filme zu teilen. Zum Abschluss der Filmreihe organisierten wir eine interaktive Gesprächsrunde mit den Protagonist*innen des Films vom Hof Butenland, um noch intensiver miteinander ins Gespräch zu kommen. Im Sinne einer partnerschaftlichen Mensch-Lebensmittelbeziehung gab es an jedem Abend ein veganes Buffet, welches uns u. a. die Pflanzen der Alten Gärtnerei freundlich zur Verfügung stellten.

 

Einladungskarte zum Sommerkino


8. Juli – „Anthropocene: The Human Epoch”

Resonante Beziehungen können laut Harmut Rosa nicht erzwungen werden. Dieser Aspekt der Unverfügbarkeit zeigte sich sogleich am ersten Termin der Kinoreihe. So stellten wir uns bei der Planung der Veranstaltung im Juli vor, dass zahlreiche Menschen an einem lauen Sommerabend zusammenkommen und bei einem kühlen Getränk die abendlichen Sonnenstrahlen in der Alten Gärtnerei genießen. Jedoch kam es anders als geplant: Am besagten Freitagabend gab es einen Temperatursturz und es waren dicke Jacken und ein warmer Tee angebracht. Trotz der kalten Temperaturen kamen etwa ein Duzend Menschen zu unserem Auftakt des Sommerkinos. Das Team der Alten Gärtnerei stellte glücklicherweise Decken bereit und die veganen Himbeer-Kekse schufen eine gemütliche und intime Atmosphäre.

 

Ein Blick auf das vegane Buffet

 

Der gemütliche Rahmen passte jedoch nicht ganz zum ausgewählten Film „Anthropocene: The Human Epoch”. So wollten wir die Kinoreihe mit unserer modernen Mensch-Natur-Beziehung starten, die von einer drastischen Ausbeutung und Zerstörung der Erde durch den Menschen geprägt ist. Das Anthropozän steht für den Anbruch eines neuen geologischen Zeitalters, in dem der Mensch dominiert und unumkehrbare Spuren im Erdsystem zurücklässt, sei es durch das Bohren nach Öl in der Wüste, Abholzungen des tropischen Regenwaldes für den europäischen Markt oder die Verschmutzung der Meere durch Plastik. Die Symptome der massiven Eingriffe durch den Menschen werden deutlich durch eines der größten Artensterben der Geschichte oder zunehmende Extremwetterereignisse wie Dürren oder Überschwemmungen aufgrund des Klimawandels. Diese Auswirkungen zeigen deutlich, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck reduzieren müssen, um ein Kollabieren unseres Planeten zu verhindern. In gewaltigen Bildern macht das Filmteam Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Edward Burtynsky die weltweite menschliche Dominanz über den Planeten sichtbar, sei es durch das Verbrennen von Elefanten-Stoßzähnen in Kenia zur Vernichtung von Hehlerware, die Zerstörung des Great Barrier Reefs in Australien oder das immer weitere Vordringen des Menschen in den Boden am Beispiel des Braunkohle-Tagebaus im Rheinland.
    
Das Publikum blieb dabei mit einem Gefühl der Hilflosigkeit und Fragen zurück: Warum machen wir das? Wo kann man anfangen, etwas zu ändern? Gleichzeitig zeigte der Film aber auch, dass es in unserer menschlichen Verantwortung liegt, etwas zu ändern und dass unsere unumstößliche Verwobenheit mit der Natur und deren Wiederentdeckung und Pflege ein wichtiger Schlüssel für eine Umorientierung unserer Beziehung zur Natur ist. Wie eine solche alternative Beziehung aussehen kann, veranschaulichte der zweite Film.

 

Eine sommerliche Abendstimmung


5. August – „Daugther of the lake”

Der zweite Sommerkino-Abend fand am 5. August statt, und widmete sich der Frage, welche Wege es für eine gesellschaftliche Transformation vom destruktiven Anthropozän hin zu einer Mensch-Natur-Partnerschaft gibt. Nachdem sich Gewitterprognosen für den Abend „verflogen“ hatten, konnte es losgehen und nach und nach trudelten kleine Grüppchen ein. Das Essen wurde vom Team der Alten Gärtnerei in liebevoller Handarbeit vorbereitet und wir hatten allerlei damit zu tun, die Leinwand windfest zu machen – für die noch übrig gebliebenen stärkeren Windstöße.

 

Begrüßung der Gäste am zweiten Abend

 

Etwas später als geplant ging es dann los mit „Daughter of the lake“ (Original: Hija de la laguna), einem Film des peruanischen Regisseurs Ernesto Cabellos Damian aus dem Jahr 2015. Der Film begleitet Nélida, eine indigene Frau aus den peruanischen Anden, die sich als spirituelle Tochter der dortigen Seen fühlt und sich gegen den destruktiven Abbau von Gold in den Anden einsetzt. Hierfür studiert sie Jura, um ihre Gemeinschaft vor Minengesellschaften zu schützen, die das Gold auf Grund der Nachfrage nach Uhren und Schmuck, aber auch für die Finanzindustrie und den Technologiesektor aus dem Erdinneren extrahieren.

Als Zuschauer*in konnte man förmlich spüren wie Nélida in Resonanz mit den Seen ihrer Heimat tritt (Achtung, Spoiler!). Ihr Leben an den Seen und die vielen praktisch-tätigen und emotional bedeutsamen Erfahrungen, wie Hartmut Rosa es nennt, haben eine Beziehung entstehen lassen, die auf fürsorglichem Austausch beruht. Aus dieser Verbundenheit heraus entsteht Widerstand gegenüber den destruktiven Praktiken des Goldabbaus. Nélida und ihre Mitstreiter*innen versammeln sich auf dem bedrohten Berg und stellen sich im wahrsten Sinne des Wortes schützend vor die bedrohte Landschaft. Zumindest vorerst erringen die Protagonist*innen in dem Dokumentarfilm einen Sieg, als die Polizei wieder abzieht. Nélida bedankt sich in der letzten Szene bei den Seen, die ihr diese tiefe Verbundenheit und die Kraft für ihren jahrelangen Widerstand geschenkt haben. Das Harvesting im Anschluss an den Film zeigte, dass dieser die Zuschauer*innen durchaus berührt hatte.

 

Reflektion der Eindrücke und Berührungsmomente

 

Viele waren erschüttert, traurig oder auch ohnmächtig angesichts der Naturzerstörung für Gold und Finanzindustrie etc. Wieder andere empfanden Liebe und Bewunderung für den Widerstand und Kampf der Protagonist*innen. Persönlich waren uns u.a. folgende Fragen bezüglich der Herstellung kostbaren Schmucks hängengeblieben:

Muss denn Schmuck überhaupt kostbar im materiellen Sinne sein? Und wenn ja, wieso?

Und wenn aktuell nicht ausschließlich naturverträglicher Schmuck hergestellt werden kann oder darf – sollte er dann überhaupt als Luxusgut produziert werden?

Wie Grenzen der Verfügbarkeit von Natur im Sinne einer partnerschaftlichen Beziehung eingehalten werden können, zeigte der dritte Filmabend.


02. September – „Butenland“

Der letzte Termin des Sommerkinos fand an einem frühherbstlichen Abend im September statt. Gezielt suchten wir hierbei nach einem Film, der vor allem gelebte Resonanz ausstrahlt und uns Wege zur Umsetzung von Mensch-Natur-Partnerschaften in der Praxis aufzeigen würde. Ganz speziell wollten wir uns dabei auf ein gutes Leben für Alle fokussieren und das beinhaltet auch Tiere und zwar nicht nur Haustiere sondern auch sogenannte „Nutztiere“ wie zum Beispiel Kühe. Eng verknüpft mit dem URBNANCE-Arbeitspaket zur Mensch-Lebensmittel-Resonanz veranschaulichte der Film Butenland, wie eine Abkehr von der Milchindustrie und der Ausbeutung von Kühen hin zu einem wertschätzenden Umgang mit den Tieren aussehen kann. Aus einem zuvor betriebenen Milchbauernhof wurde so ein Kuh-Altersheim. Der Film erschien erstmals 2020 und wurde produziert vom Filmemacher Marc Pierschel, der Jan Gerdes und Karin Mück (Stiftung Hof Butenland) zwei Jahre lang auf ihrem Hof begleitete.

 

Zu Beginn des dritten Abend

 

Dabei wurden die interessierten Zuschauer*innen auf eine Achterbahn der Gefühle mitgenommen. So wurden die erschreckenden und unvorstellbaren Zustände in der Milchindustrie dargestellt, gezeichnet von Zuchtmessen für ultra-produktive Kühe, die nur einen (Lebens-)Sinn zu haben scheinen, nämlich Milch zu geben. Jedoch wurden wir auch Zeug*innen der enormen Hingabe von Jan und Karin, die tagtäglich versuchen, Kühen ein schönes Leben zu ermöglichen. Wir beobachteten wahre Glücksmomente, in denen die Tiere auf den Weiden tollten und miteinander einfach Kuh sein konnten.

Aber die Züchtung von Milchkühen, beziehungsweise die generelle Züchtung und Haltung von Kühen als „Nutztiere“, hat noch weitere Schattenseiten und diese beinhalten auch den schmerzlichen und oft viel zu frühen Abschied von vielen Kuh-Freund*innen. So werden Kühe, die normalerweise 20 Jahre alt werden können, in der Milchindustrie im Durchschnitt nur 5,5 Jahre und in der Fleischindustrie zumeist nur maximal 2 Jahre alt. Solche Kühe werden auf dem Hof Butenland aufgenommen und durchleben oftmals schwere Erkrankungen aufgrund der Überzüchtung.  Aber Dank des Engagements von Jan und Karin können sie ihre restlichen Tage in Frieden verbringen, auf satt-grünen Weiden und mit Menschen, die sie wertschätzen, respektieren und einfach einmal in Ruhe lassen, wie Karin so schön sagt. Im Anschluss an diesen bewegenden Film gab es noch eine Diskussionsrunde mit Jan und Karin (Stiftung Hof Butenland), die den weiten Weg nach Dresden auf sich genommen haben, sowie Antonia (Ernährungsrat Dresden) und Mabel (URBNANCE). Wir erfuhren hierbei aus den unterschiedlichen Perspektiven der gelebten Praxis, der Stadtentwicklung und Forschung, wie mögliche Transformationspfade zu einem neuen Verständnis von Ernährung aussehen können.

 

Diskusionsrunde nach dem Film


Fazit

Wir bedanken uns vielmals für die inspirierenden Abende mit veganen und lokal produzierten Snacks von der Alten Gärtnerei, den berührenden Inhalten durch die Protagonist*innen und Macher*innen der gezeigten Filme sowie die anregenden Gespräche mit den interessierten Besucher*innen. Die ausgewählten Filme zeigten einerseits die ausbeuterischen und zerstörerischen Auswirkungen auf nichtmenschliche Natur durch uns Menschen, welche Gefühle der Hilf- und Sprachlosigkeit erzeugten. Andererseits machten die Filme auch Mut. Wir müssen nicht so leben und wirtschaften. Wir können eine Gesellschaft kreieren, die auf Werten des Mitgefühls und der Fürsorge beruht und durch sozialen Mut und Engagement ein gutes Leben für Alle auf diesem wunderschönen Planeten ermöglichen. Wir sind alle Held*innen des Wandels und wir hoffen, dass wir mit diesem Sommerkino auch eben dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit fördern konnten.

 

 

Autor*innen: Philip Harms, Susanne Müller, Mabel Killinger und Martina Artmann

Wenn Du weitere Anmerkungen oder Fragen zum Essay hast, bist Du herzlich eingeladen, die Autor*innen zu kontaktieren (p.harmsioer@ioer.de).

Nach oben



2024

Februar

Mit Freude geben und nehmen – Impulse von Robin Wall Kimmerer über eine positive Partnerschaft mit der Natur

Januar

"Und wie sieht deine Welt aus?"
Gesellschaftliche Formierungen von Weltbildern und ihre Wandelbarkeit dank psychischer Flexibilität.
Plus: abschließende Tipps von Maude


2023

Dezember

Indigene Weltanschauungen als ernstzunehmende Utopie? – Über den Wandel von Weltbildern und das, was wir als Weltgemeinschaft von indigenen Weltanschauungen lernen können

Oktober

Natur auf Augenhöhe begegnen – ein explorativer Spaziergang durch die Gärten von Schloss Trauttmansdorff in Meran

Juni

Mit dem Herzen schauen – Über individuelle Mensch-Natur-Resonanz, ein gemeinsames Dilemma mit Antoine de Saint-Exupéry sowie eine nachhaltigkeitsbezogene Erklärung an die Leser*innen

Patagonien – ein Ort für resonante Beziehungen?

Mai

Demut vor der Unverfügbarkeit des Schlafes – Über Zyklen, Schlafrituale und Mutter Erde

Februar

Wo ist die Liebe?
Skizzen der Verwunderung, des Selbstmitgefühls und eines Mutmachers angesichts multipler Krisen


2022

November

Der Natur unsere Stimme leihen – im Rollenspiel auf der Suche nach Partnerschaften mit der Natur

Oktober

Von Krise zu Resonanz: ein Sommerkino

September

Ein Bedürfnis nach Selbstwirksamkeit in Zeiten der Ohnmacht.
Sorge um die Natur in der Stadt.

Juli

Die Unverfügbarkeit einer eigenen Stimme. Was will Amos wirklich "sagen"?

Juni

Flötenspiel (1940) von Hermann Hesse: eine resonanzspezifische Analyse und Einbettung in den Nachhaltigkeitskontext

Mai

Erste Erkenntnisse zu urbanen Mensch-Lebensmittel-Beziehungen durch die Interaktion mit Stadtbewohner*innen in Dresden

In mir ‒ in uns

März

Responsive Beziehungen:
Das Wunder der Verletzlichkeit

Januar

Liebende Seelen – liebende Herzen


2021

Dezember

Christmas ‒ eating in the spirit of the feast of love?

Nurturing our relation with nature and ourselves in the dark season