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Ein persönlicher Steckbrief meiner
individuellen Mensch-Natur-Resonanz
(Fortsetzungen immer möglich)
Für mich bedeutet Resonanz bewusst zu atmen,
abends einzuschlafen,
Schmerz zu spüren,
diesen Schmerz zu akzeptieren,
heil werden zu wollen,
Schönheit zu sehen,
an Bolivien zu denken.
Resonanz heißt für mich zu lachen,
zu Musik zu tanzen und Freude zu empfinden,
der Duft frischen selbstgebackenen Brotes,
den Vögeln beim Fliegen und den Fischen beim Schwimmen zuzusehen,
den Pflanzen in meiner Wohnung Komplimente zu machen,
Regenwürmer vom Fußweg auf die Seite zu setzen,
dankbar zu sein für den Freund, der stets ein offenes Ohr hat.
Auch sich gegenseitig stumm zu verstehen, zeugt von Resonanz,
von einem Pferd mit Freude getragen zu werden,
der Moment, in dem der kleine Prinz sein Schaf bekam,
seinem Herzen treu zu sein,
seinem Herzen treu zu bleiben,
Anderen – wenn möglich – zu helfen,
sich zu entschuldigen,
zu verzeihen,
sich zu umarmen,
zu lieben,
zu sein.
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Liebe Leser*innen,
ich habe sehr lange überlegt, ob ich mit dem Steckbrief beginne oder vorab erst eine Erklärung schreibe. Wie ihr seht, habe ich mich dafür entschieden, Euch zuzutrauen, direkt mit dem Steckbrief zu starten und damit etwas anfangen zu können. So viel Glück hatte der Protagonist von Antoine de Saint-Exupéry’s weltberühmten Buch „Der kleine Prinz“ leider nicht: Nachdem er im Alter von 6 Jahren Zeichnungen anfertigte und diese dann Erwachsenen vorlegte, verstanden sie seine Intention dahinter nicht. Sie rieten ihm, lieber etwas Vernünftiges im Leben zu werden: Mathematiker, Geograph etc. (irgendwas mit Zahlen und ganzen Sätzen). Mancher eins wird sich erinnern: Er gab tragischer Weise seine potentielle Künstler*innenkarriere somit schon im Alter von 6 Jahren auf.
Aber was hat das mit meinem Steckbrief individueller Mensch-Natur-Resonanz zu tun?
In unserer modernen Welt sind wir Erwachsene meist gewohnt, Erklärungen für alles zu bekommen und auch selbst Vieles zu erläutern und zu begründen. Wir reden viel mit unserem Kopf. Wir werfen mit Theorien um uns und berechnen möglichst alles. Wir definieren und quantifizieren Objekte, Menschen, Wolken und die Liste könnte ewig weitergehen. Manchmal, wenn ich mit anderen Erwachsenen zusammen bin, fehlt mir etwas: das Interagieren mit anderen Sinnen, mit Gefühlen, mit dem Körper und stets geleitet von Neugierde. Einmal war ich zum Beispiel vor einigen Jahren auf einem Betriebsausflug mit vielen netten Kolleginnen auf einem Schiff. Nach einer gewissen Zeit konnte ich mit den Gesprächen nicht mehr viel anfangen und fand es stattdessen viel spannender, mit einem Kind Käfer zu beobachten, sie kennenzulernen und zu bestaunen, welch andere Wesen doch den Raum mit uns teilen. Leider vergessen wir alle viel zu oft, die Welt so zu sehen, wie sie Kinder sehen: Mit leuchtenden Augen wie Hartmut Rosa sagen würde.
Oder gemäß Antoine de Saint-Exupery – mit dem Herzen.
Warum kann das wichtig sein für den Alltag und für die aktuellen Probleme?
Hartmut Rosa hat in seiner Resonanztheorie breit geschildert, wie moderne Gesellschaften seines Erachtens ihre Beziehung zur Welt verloren haben. Indem wir in unserem gegenwärtigen Wirtschaftssystem alles versuchen zu dominieren, verfügbar zu machen, erkennen wir nicht mehr an, dass alles Gegenüber eine eigene Stimme und einen eigenen Wert hat. Wir nehmen uns das Recht heraus, über die Welt zu bestimmen, ihr grenzenlos Ressourcen zu entnehmen, unseren Körper immer weiter zu strapazieren – immer mit dem Ziel, selbst möglichst viele Ressourcen für uns anzuhäufen. Was dann aber passiert, ist, dass eine Beziehung verstummt. Unsere Beziehung zur Welt, unsere Beziehung zu Natur. Wäre es in Anbetracht des dringend notwendigen tiefen Wandels Richtung Nachhaltigkeit nicht auch angebracht, den Fortschritt einer Gesellschaft nicht durch das BIP-Wachstum zu messen, sondern wenn wir Glück und Nachhaltigkeit in den Fokus setzen, wenn wir unsere Welt schon durch Kennzahlen sichtbar und kontrollierbar machen? Ein Vorschlag dafür ist der Happy Planet Index, welcher den ökologischen Fußabdruck, die Lebenserwartung und unseren ökologischen Fußabdruck als Grundvoraussetzung für ein gesundes und erfülltes Leben im Sinne einer nachhaltigen Mensch-Natur-Resonanz in den Mittelpunkt stellt. Jessica Böhme und Thomas Bruhn zeichnen in ihren Buch Mehr sein, weniger brauchen – Was Nachhaltigkeit mit unseren Beziehungen zu tun diese Beziehungen nach und reflektieren mögliche Stellschrauben für eine Nachhaltigkeitstransformation. Ziel unseres URBNANCE-Projektes ist es, zu erforschen, wie diese Beziehung zur Natur wieder relational erklingen, wieder resonieren kann, um in eine Mensch-Natur-Resonanz zu treten. Die Bewusstwerdung unserer relationalen Abhängigkeit von der Natur und diese mit Wertschätzung zu begreifen, sehen viele Wissenschaftler*innen als einen großen Hebel, unsere Mensch-Natur-Resonanz wieder zu vertiefen. Und dies beinhaltet auch die Wiederverbindung mit der eigenen Natur – einschließlich unserem Herzen.
Warum gibt es nicht die eine Mensch-Natur-Resonanz?
Im Sinne der Diversität der unterschiedlichen Charaktere geht es nicht um eine einzige Mensch-Natur-Beziehung, sondern jeder Mensch hat seine ganz eigene Beziehung zur Natur, die geprägt ist durch Erfahrungen, Erziehung, (Epi)genetik, Gesellschaft usw. Wie diese Erfahrungen unsere aktuelle Interaktion mit unserer räumlichen Umgebung prägen, habe ich im Rahmen meiner Masterarbeit untersucht: Wer als Kind freudvoll unter Alleen von Kastanienbäumen entlanglief, wird im Erwachsenenalter oftmals leichter mit dieser Landschaft resonieren. Wer gerne das Meer rauschen hörte, wird als Erwachsener auch gerne das Meer aufsuchen.
Gemachte körperliche Erfahrungen und erlebte Gefühle prägen unsere zukünftige Interaktion mit der Welt, Natur, anderen Menschen und uns selbst. Körperlich trifft es, denn alles ist in uns physisch und geistig abgespeichert und somit auch auf diesem Weg veränderbar. Sich an seine Kindheitsträume und –ziele zu erinnern und diese Schätze wieder zu bergen kann hilfreich sein, sich mit Lebensenergie zu verbinden. Das innere Kind ist diesbezügliche eine weit verbreitete Metapher, die in der Psychologie und Psychotherapie verwendet wird.
Wie finde ich meine eigene Mensch-Natur Resonanz?
Sich selbst achtsam besser kennen zu lernen vermag zu helfen, um zu verstehen, wer oder was einen glücklich macht. Zu wissen, welche Werte und Bedürfnisse man hat, hilft, Strategien zu entwickeln, diese in das Leben zu integrieren und seine eigene (auch körperliche) Konstitution zu verändern.
Dies hat auch Stefanie Spessart-Evers in ihren Buch „Klimawandel – Bewusstseinswandel“ unter dem Stichwort Auf das eigene Herz hören. Wer bin ich und was brauche ich? diskutiert (S. 163). So sieht sie in der Förderung von Achtsamkeit einen Weg, die seelische Resonanzfähigkeit für das Leben zu stärken (S. 62). Und auch, in Einklang mit meiner eigenen individuellen Mensch-Natur-Resonanz zu leben, erfordert demnach ein gewisses Maß an Reflektion, belohnt aber gemäß Studien mit einem nachhaltigeren Lebensstil. Eine wunderschöne Übung aus der ACT-Therapie, eine Werte-orientiere Therapie, die dabei hilft, Menschen ihren Bedürfnissen und Zielen näherzubringen, ist sich beispielsweise den idealen Tag vorzustellen. Was würde man tun, wenn Geld keine Rolle spielt? Nur mit Freund*innen zusammen sein? Den ganzen Tag im Bett lesen? Malen? Von allem etwas? Am Ende der Übung hat man idealerweise ein paar Notizen mit Dingen, die einen erfüllen und die Augen im Sinne Rosas zum Leuchten und das Herz zum Tanzen bringen. Als Nächstes unterstützt die ACT-Therapie Individuen auch, konkret diese Glücksmomente ins Leben zu integrieren (aber das soll nicht Inhalt dieses Essays sein, sondern wird Gegenstand meines zweiten Dissertationspapers sein).
Der oben skizzierte Steckbrief meiner individuellen Mensch-Natur-Resonanz soll dazu beitragen, die Erfüllung von Herzenswünschen nicht außer Acht zu lassen. Das Lesen meines Steckbriefs hilft mir persönlich, mich an meine schönen Resonanzmomente zu erinnern und sie in meinem Körper bewusst als Erinnerung abzuspeichern: Wunderschöne Karpfen, noch heißes dampfendes Brot anzuschneiden und spontan zu tanzen. Indem ich meine Konzentration immer wieder zu positiven Erlebnisse lenke, entstehen auch hier Resonanzen – mit den imaginierten Bildern einerseits, aber auch mit mir selbst (da man sich ja praktisch selbst mit angenehmen Gefühlen beschenkt).
Gleichzeitig kann der Steckbrief als Brücke fungieren und Euch einladen, Euch berühren zu lassen und zu reflektieren: Wofür brennt ihr? Wann und wo seht ihr mit Euren Herzen? Was sind Eure Werte und Ziele im Leben? Wo und wann habt ihr Euch in Einklang mit der Welt, der Natur und Euch selbst und Euren Werten gefühlt?
Ich würde mich freuen, von Euren individuellen Mensch-Natur-Resonanzen zu erfahren!
Resonante Grüße
Susanne
Autorin: Susanne Müller
Wenn Du weitere Anmerkungen oder Fragen zum Essay hast, bist Du herzlich eingeladen, die Autorin zu kontaktieren (s.mueller). @ioer.de
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