Um mit einem anderen Wesen, sei es ein anderer Mensch, ein Tier oder ein Gegenstand, in eine resonante Beziehung zu treten, muss man, so Rosa, die eigene Stimme des Gegenübers wahrnehmen, sehen und vor allem hören. Dabei gilt auch die Unverfügbarkeit dieser Stimme als eine weitere Voraussetzung für das Erleben resonanter Momente oder Beziehungen. Aber wie passt das zusammen? Ein großer Widerspruch in diesem Sinne ist, dass ich einerseits in der Lage sein sollte, dieser anderen Stimme zuzuhören, andererseits aber auch anerkennen sollte, dass ich vielleicht nicht in der Lage bin zu verstehen und zu erfassen, was mein Gegenüber sagen will. In dieser Hinsicht ist die Anwendung von Wörtern wie "sprechen" oder "sagen" teilweise irreführend, wenn es darum gehen soll sich auf jegliche erdenkbare andere Entität einzulassen, denn diese Handlungsformen beschreiben in erster Linie Interaktionen zwischen Menschen. Diese Überlegung impliziert ferner, dass das Auftreten und damit die von mir geforderte Wahrnehmungsleistung einer anderen eigenen Stimme immer unterschiedlich ist und dass man darauf achten muss, sein Verständnis der eigenen Stimme dem anderen Gegenüber nicht aufzudrängen.
Ich habe viel über diesen Widerspruch nachgedacht, vor allem in der Interaktion und Beziehung mit Amos, einem Hund mit dem ich mein Leben und mein Zuhause teile. Bei einem unserer Spaziergänge wurde mir klar, dass ich niemals wirklich sicher sein kann zu verstehen was er "sagen" möchte, welche Bedürfnisse er hat und was er tun will. Ich ertappe mich dabei, wie ich ihm menschliche Qualitäten zuschreibe, wie ich seine Handlungen auf bestimmte Emotionen gegenüber seiner Umgebung und gegenüber mir zurückführe. Aber ich kann mir nie ganz sicher sein was er mir wirklichen "sagen" will und doch nach vier Jahren des Zusammenlebens gibt es bestimmte Handlungen bei denen ich mir meiner Interpretationen derer ziemlich sicher bin. Ich denke, dass dasselbe für jede andere Form von Beziehung gilt, auch zwischen Menschen und sogar wenn es darum geht meine eigene Stimme zu verstehen. Kann ich mir immer sicher sein, dass ein menschliches Gegenüber das sagt, was seine eigene Stimme sagen will? Kann ich überhaupt sicher sein, dass ich in der Lage bin meiner eigenen Stimme wirklich zu zuhören und dass meine Interpretation meiner Stimme immer "richtig" ist? Sicherlich nicht und das ist es wohl, was die Unverfügbarkeit einer anderen eigenen Stimme und meiner eigenen Stimme ausmacht - was den Beginn einer resonanten Beziehung ausmacht.
Die damit einhergehende Erkenntnis die eigene Stimme des Gegenübers vermutlich nicht jederzeit richtig verstehen zu können und trotzdem offen zu bleiben, um zu versuchen wieder in Beziehung zu treten, ist folglich das, was es ermöglicht resonante Momente und auf Dauer resonante Beziehungen einzugehen. Das Sammeln von Erfahrungen, das Lernen über mein Gegenüber sind Schritte zum Verstehen und Hören der anderen Stimme. Es gibt zum Beispiel viele Informationen über das Verhalten von Hunden, vor allem über ihre Körpersprache, die ihr wichtigstes Werkzeug ist, um mit ihrer Umgebung zu kommunizieren. Diese Fakten zu lernen und zu versuchen, sie in Amos seinem Verhalten zu erkennen, war und ist ein wichtiger Teil unserer Beziehung. Es gibt Beschwichtigungssignale wie zum Beispiel das Lecken der Schnauze oder der Nase, Gähnen, Wegschauen, einen großen Bogen laufen und dabei den Blick auf die Körperseite preisgeben, sogar Blinzeln – das sind alles Signale die mir zeigen können, dass Amos vielleicht einen Konflikt vermeiden will, dass er sich selbst beruhigen will. In bestimmten Situationen geben mir diese Handlungen einen Hinweis darauf, was Amos mir vielleicht sagen möchte.
Und dann gibt es Wege der Kommunikation, die einfach mit der Zeit wachsen. Wenn ich ihn streichle, und er genießt das sehr, klingt es als würde er mich anknurren, was ich am Anfang unserer Beziehung überhaupt nicht deuten konnte. Wenn er unbedingt nach draußen muss, kommt er auf mich zu, rennt zur Tür und fiept. Manchmal nippt er an seinem vollen Wassernapf und schaut mich dann demonstrativ an. Am Anfang hatte ich keine Ahnung, was er mir damit sagen wollte. Es stellte sich heraus, dass er einfach sehr wählerisch mit seinem Wasser ist und nachdem ich den ganzen Napf gewechselt hatte, leerte er ihn komplett. Jetzt weiß ich das auch. Was ich aber am meisten an seiner Körpersprache zu erkennen gelernt habe, ist die Art und Weise, wie er seine großen fledermausartigen Ohren aufstellt. Wie er seine Ohren in bestimmten Stufen zurückklappt zeigt mir, ob er wütend oder ängstlich ist. Wie er sie zur Seite fallen lässt und dabei aussieht wie ein kleiner Yoda zeigt mir, dass er tief entspannt ist. Wenn er mit anderen Hunden in Kontakt ist (was für ihn immer schwierig ist) sehe ich, wie er sich aufrichtet, wie seine Ohren steif nach oben zeigen, wie seine Rute nervös zuckt und wie sich das Fell auf seinem Rücken aufstellt.
Das sind die kleinen Dinge, die man erst mit der Zeit lernt, sei es mit einem Hund oder einem Freund. Und wir hatten am Anfang unserer Reise viel zu kämpfen und haben es immer noch. Es gibt auch frühere Erfahrungen, vor allem mit Hunden aus dem Tierschutz, von denen man einfach nichts weiß. So wurde ich am Anfang gebissen und ich durfte ihn an bestimmten Körperstellen nicht anfassen, er suchte nicht auf natürliche Weise Körperkontakt und er hörte auf nichts, was ich ihm sagen wollte (offensichtlich, weil ich ihm damals auch nicht zuhören konnte). Aber indem ich auf seine Bedürfnisse eingehe, höre ich auf seine eigene Stimme, ich kümmere mich um ihn und mit der Zeit habe ich auch das Gefühl gewonnen, dass er sich um mich kümmert. Wenn ich traurig bin, legt er sich neben mich. Wenn ich krank bin, legt er sich neben mich. Wenn ich nach Hause komme, will er sofort Körperkontakt haben. Er legt sich neben mich oder gibt mir seine Pfote oder gibt mir einen schüchternen “Kuss". Ich habe also das Gefühl, dass er meine eigene Stimme hört und das Konzept der Resonanz auf seine Art und Weise lebt. Um auf den eingangs erwähnten Widerspruch zurückzukommen denke ich, dass es definitiv eine Notwendigkeit ist, die Unverfügbarkeit einer anderen eigenen Stimme anzuerkennen, um wirklich zuhören zu können. Durch diese relationalen Lernprozesse und Erfahrungen kommen wir einander näher und aus resonanten Momenten werden resonante Beziehungen.
Autorin: Mabel Killinger
Bei Fragen oder Anmerkungen zum Essay bist du herzlich eingeladen, die Autorin zu kontaktieren (m.killinger). @ioer.de
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